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Magister Justinus, der Verfasser des Lippiflorium

Dem bisherigen Sprachgebrauch folgend liegt mit dem Lippiflorium ein lateinisches Lobgedicht in 513 Distichen – 1026 Versen – auf den Edelherrn Bernhard II. zur Lippe († 1224), späteren Abt von Dünamünde und Bischof von Selonien vor; es gilt als älteste erzählende lippische Geschichtsquelle. Gewidmet ist die Schrift Bernhards Enkel Simon zur Lippe († 1277), Bischof von Paderborn. Der Verfasser nennt sich im Epilog selbst, wo es in den Versen 1020/1021 heißt:

Posthac qui dicet: „Iustini pace quiescat
Spiritus; hic huius carminis autor erat.“
(Wer später einmal sagt: „Justinus’ Seele ruhe in Frieden;
er war der Dichter dieses Liedes.“)

Über den Verfasser und sein Werk schrieb Karl Lamprecht einen Artikel, der in dem Buch „Menschen vom lippischen Boden“ (Herausgeber: Max Staerke) aus dem Jahr 1936 enthalten ist. Nachfolgend ist dieser Artikel abgedruckt:

Westfalen-Lippe, das Land der roten Erde, ist nicht reich an literarischen Denkmalen der älteren Zeit, aber es gibt den Schauplatz ab zu der ältesten germanischen Dichtung, die wir mehr ahnen denn kennen, zu den geschichtlich verbürgten Heldenliedern, die einstmals dem Befreier Germaniens gesungen worden sind.

Und nicht nur ist in Westfalendas älteste geschichtliche Heldenlied erklungen, wir nennen auch den frommen Sänger unser eigen, der seinen lauschenden Stammesgenossen den heilan der welt als Volksherzog lieb und teuer werden ließ, der den Heliand anstimmte, ein Werk, das nach Vilmars Urteil, das einzige wahrhaft christliche Epos ist, in dem das in deutsches Fleisch und Blut übergegeangene Christentum sich ausspricht.

Das Lippiflorium
Das Lippiflorium

Freilich vermochte der Lipper der rührsamen und kunstvollen höfischen Poesie keinen Geschmack abzugewinnen, trotz einem reinhold von der Lippe, der uns zwei derartige dreistrophige Lieder religiösen Inhalts hinterlassen hat.

Lieber als an die fremden Stoffe der das geistliche Rittertum vertretenden Gralsritter oder der Ritter der Tafelrunde des Königs Artis, die die Blüte des weltlichen rittertums verherrlichen, hielt man sich bei uns an die mannhaften Helden des heimischen Landes, und so hat auch einer von ihnen im 13. Jahrhundert seinen Sänger gefunden: der Edle Herr Bernhard II. zur Lippe, der Erbauer Lemgos und Lippstadts, dessen seltenes Heldenleben den lippischen Magister Justinus in Lippstadt zu seinem in glänzenden lateinischen Distichen verfaßten Lippifloriger oder Lippiflorium begeisterte.

Über den Verfasser unserer Heldengedichtes ist nur wenig bekannt. Er selbst bezeichnet sich als Zeitgenosse Bernhards III. zur Lippe, der von 1230-1264 regierte. Nach einer Urkunde vom Jahre 1309 (lipp.Reg., Nr. 583) soll er gegen Ende des 13. Jahrhunderts als schulrektor in Lippstadt gewirkt haben. Nach Möller (Alte Nachrichten, SS. 97, 304) war er Lippstädter von Geburt. Der Bischof Simon von Paderborn aus dem Hause Lippe (1247-1277) soll ihn haben studieren lassen, was Justinius veranlaßte, seinem Wohltäter das Lippiflorium zuzueignen.

Daß er, wie alle gelehrten Dichter des Mittelalters, Geistlicher war, versteht sich von selbst; Möller läßt ihn 1206 (?) Kanonikus in Höxter sein, ohne eine Quelle für seine Behauptung anzugeben. Nach der Vermutung Althofs hat er vielleicht gleich seinem Amtsnachfolger, Magister Volmar, und manchen Dichtern der Zeit Frankreichs Schulen besucht und sich in der dort (besonders zu Paris) eifrig geübten lateinischen Verskunst vervollkommnet.

Unser Epos dürfte um das Jahr 1250 entstanden sein. Piderit, Möller, Grupen u.a. geben bestimmte, aber einander widersprechende Jahre a, ohne ihre Behauptungen quellenmäßig zu begründen.

Weil Justinus seine Dichtung als für den Schulgebrauch bestimmt ausdrücklich erklärt, muß in erster Linie der vom Dichter beabsichtigte Zweck der gewesen sein, die Liebe zum angestammten Herrscherhause zu pflegen und das Studium der lateinischen Sprache und Verskunst zu fördern. Nebenher hat das Werk auch seinen geschichtlichen Wert, da es die älteste selbständige Quelle der lippischen Geschichte ist und in glaubwürdiger Weise Tatsachen überliefert, die in den anderen Geschichtswerken der Zeit nicht berichtet werden.

Allerdings war zur Zeit der Abfassung des Lippifloriums seit Bernhards II. Jugendjahren schon ein Jahrhundert und seit seinem Tode ein Menschenalter verflossen, so daß die Erinnerung an einzelne Geschehnisse verblaßt oder verschwunden war; deshalb kommt Scheffer-Boichorst hinsichtlich des in der Dichtung hervortretenden auffallenden Mangels an geschichtlichen Einzelheiten unter Berufung auf eine Stelle im Epos (V. 40) zu dem naheligenden Schlusse, daß der Dichter nur „quantum fama docet“ (soviel die Überlieferung lehre) uns überliefere und den „Inhalt einer armen Sage auf dem Grunde einer reichen Szenerie“ male.

Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß der an dieser Stelle im Lippiflorium vrokommende Ausdruck „fama“ damals einen weiteren Begriff umfaßte als heutzutage. Im Mittelalter bedeutete „fama“ sowohl die mündliche als auch die schriftliche Überlieferung. Winkelmann will sogar wissen, daß Justinus bei seiner Arbeit die Chroniken Arnolds von Lübeck, Heinrichs von Lettland und Albertus von Stade benutzt habe.

Wenn er uns auch den Beweis für diese Behauptung schuldig bleibt, so wird doch in der Dichtung selbst mehrfach auf schriftliche Unterlagen hingewiesen (V. 427 f., V. 809 f.), „und es ist von vornherein wahrscheinlich, daß sich der Dichter, bevor er an die Ausführung seines Werkes ging, auf alle mögliche Weise mit der Geschichte seines Helden vertraut gemacht hatte, wozu es ihm bei seinen Beziehungen zu den Gliedern der Regentenfamilie nicht an Gelegenheit fehlen konnte. Wenn Justinus bemerkt, daß ihm die Taten Bernhards das ungläubige Staunen der Leser hervorrufen würde. Auch betont er in den vorhergehenden Versen, daß es ihm nur um eine kurze Darstellung zu tun gewesen sei.“

Es muß daran  festgehalten werden, daß Justinus kein rein geschichtliches Gemälde bieten, sondern den lehrhaften Zwecken seiner Dichtung entsprechend aus dem reichen Leben unseres Helden dichterisch ausgeschmückte Einzelbilder vorführen wollte. Zum Glück bieten sich dem Geschichtsforscher in zahlreichen Urkunden und Aufzeichnungen von Zeitgenossen ausreichende Unterlagen für eine ausführlichere Darstellung des Lebenlaufes unseres lippischen Odysseus, und es ist uns bereits ein vielen Fällen möglich, festzustellen, wie weit Justinius geschichtlcihe Vorkommnisse berichtet und was in seinem Werke zu den Erdichtungen zu zählen ist.

Das Lippiflorium ist in sieben Handschriften auf uns gekommen, von denen zwei aus dem 16. Jahrhundert in der Landesbibliothek in Detmold sich befinden; die ältere davon soll aus einer Sammlung des bekannten Geschichtsschreibers Hermann Hamelmann berrühren; die jüngere ist im Jahre 1577 von Hermann Scherer (Latomus) geschrieben. Außerdem ist noch eine plattdeutsche gereimte Übersetzung des Heldengedichts unter der Bezeichnung „Dat Lippiflorer“ vorhanden, das nach den Schlußversen am St. Viktorstage (6. März) 1487 vollendet wurde.

Auf Bitten der Augustiner-Nonnen zu Lippstadt, wahrscheinlich von einem dortigen Geistlichen verfaßt, wurde es dem Edelherrn Bernhard VII. (1430-1511) feierlichst überreicht, weil er das baufällige Kloster wiederum ausgebaut, Mißbräuche abgeschafft und andere gute Eirnichtungen getroffen hatte. Es schließt mit den Worten:

„Godt gheve uns syn hemelryck,
En tho beschouwen ewichlick.
A : m : e : n.“

Folgende seltene Bücher zum Lippiflorium gibt es derzeit in meinem Antiquariat:

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