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Anton Tschechow – Nachruf aus „Moderne Kunst“ von 1904

Beim Stöbern in einigen Kisten mit antiquarischen Zeitschriften und Heften fand ich einen Nachruf auf Anton Tschechow, der in der der Zeitschrift „Moderne Kunst“ erschien und mit „J.N-n.“ signiert ist. Dieser kurze Artikel ist sicherlich für alle Tschechow-Liebhaber von Interesse ist. Doch lesen Sie selbst:

tschechow

In Badenweiler erlag einem langjährigen Lungenleiden im Alter von erst 44 Jahren Anton Pawlowitsch Tschechow, eines leibeigenen Bauern und späteren Kaufmanns Sohn aus dem Woronesh’schen, Landschaftsarzt a.D., Ehrenakademiker und zur Zeit wohl, trotz Leo Tolstoi und Mxim Gaorki, der populärste rissiche Schriftsteller und Dichter seiner Heimat und auch im Auslande.

Mit 19 Jahren bereits, als Moskauer Univeritätsstudent noch, debütierte er unter dem Pseudonym „Tschechonte“ schriftstellerisch mit kleinen Humoresken in Witzblättern. Und im Jahre 1882 konnte der Zweiundzwanzigjährige schon einen Band Erzählungen veröffentlichen. Nun öffnen sich ihm auch die Spalten größerer Blätter – der gewöhnliche Weg in Rußland zur Literatur. Mehrere Jahre hindurch  erscheinen seine Erzählungen in der „Petersburgskaja Gazeta“ und in der „Nowoje Wremja“, dann auch in umfangreichen Monatsrevuen, wie „Ssewerny Westink“ und „Rußkaja Myßl“. Inzwischen hatte er sich auch dem Theater zugewendet, war in der letzten Zeit sogar an der Direktion des modernen Theaters zu Moskau – „Moskauer künstlerisches Theater“ – beteiligt.

Man hielt Tschechow bei uns ursprünglich für einen schlechtweg witzigen Kopf, dann für einen geistreichen Satiriker und treffsicheren Humoristen, bis er sich, für die Russen natürlich weit früher, als für das Ausland, als hoffnungsloser Pessimist entpuppte. Und dieser Pessimismus wird hier zumeist mit seinen persönlichen, angeblich schweren Lebenserfahrungen erklärt. Das ist grundfalsch. Abgesehen von seiner Krankheit, die ihn aber befiel als er schon so ziemlich im Zenith seines Ruhmes stand – verlief sein Leben glatt und eben, brachte ihm seine Tätigkeit viel Ehre und Besitz ein.

Nein, die Wurzeln seines Pessimismus liegen viel tiefer. Er wurzelt, wie bei allen besten Schriftstellern und aufgeklärtesten Russen überhaupt seit den Tagen Gribojewch, fast das ganze 19. Jahrhundert hindurch in den Lebensverhältnissen Rußlands selbst, die dem unausgesetzten Drang nach individueller Freiheit und Persönlichkeits-Betätigung ebenso unausgesetzt Hindernisse in den Weg legen. So entwickelt sich ein unverkennbar pathologischer Zug, der seinen Ausfruck findet in tiefer Schwermut und trostlosem Pessimismus, einem Verzweifeln am Siege im Kampfe mit jenen Hindernissen, den widrigen äußeren Verhältnissen.

Und so werden sie großgezogen die Generationen, die sich aufeinander folgen und die sich alle gleichen in einer schwächlichentatenunlustigen Schlaffheit, in schmerzlichen Reflexionen oder aber bitterer Satire sich bewegender Halbheit. wer schärfer hinsieht, der erkennt diesen Zug auch schon beim jüngeren Tschechow, der doch der Masse vornehmlich als loser Spaßvogel galt, der mit viel Witz und Behagen, oft in glänzender künstlerischer Form und immer temperamentvoll all die großen und kleinen Schäden und Mängel seiner Landleute als lachender Lebensphilosoph aufdeckt.

Aber allmählich überwiegt das Weinen über das Lachen immer mehr. In einer ganzen Reihe von epischen Dichtungen und Lebensbildern, in „Die Bauern“, „Die Steppe“, „Abteilung 6“, „Memoiren eines Unbekannten“, „Der schwarze Mönch“, „Eine langweilige Geschichte“, „Lebensfurcht“, u.a., vor allem aber in seinen mehraktigen Schauspielen: „Die Möwe“, „Iwanow“, „Onkel Wanja“, „Die Schwestern“, „Der Kirschgarten“, unvergleichlich schönen Stimmungsbildern aus dem grau in grau gefärbten Provinzleben Rußlands, ungemein feinen sozialethischen Milieu- und Charakterdramen – da lernen wir sie ganz kennen, die modernen grüblerischen, selbstquälerischen Halbnaturen, halbintelligente Wesen, die im Konflikt von Wollen und Können ihre Überlegenheit nicht zu betätigen vermögen und so oder so moralisch, oft auch physisch zugrunde gehen.

Tschechow konnte sie so schmerzlich naturwahr schildern, weil er unter ihnen groß geworden und weil er selbst Teil hatte an ihrem Wesen, das zur Ruhe kommt nur an der Hand des Todes. Nun hat auch Tschechow, der edle Mensch, der große Künstler, diese Ruhe gefunden.

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